Aktienrente – politisch motivierte Spekulation?
Im Januar 2023 stellte Bundesfinanzminister Christian Lindner in der Tagesschau die Aktienrente vor: „Für ein Generationenkapital sollen bereits im Jahr 2023 zehn Milliarden in einen Fonds fließen – das Risiko trägt der Bund.“
Zur Anschubfinanzierung sind jedoch zunächst 10 Milliarden Euro neue Schulden aufzunehmen. Das Geld soll dann über eine vom Staat errichtete Stiftung am Kapitalmarkt in Aktien investiert werden. Ziel des Vorhabens ist es „ … die Finanzierung der Rente zu modernisieren und Beitrags- sowie Steuerzahler zu entlasten“ .
Aus den Erträgen sollen dann ab etwa 2035 die Rentenbeiträge stabilisiert und die jüngere Generation entlastet werden. „Werfen die geplanten Anlagen mal weniger Rendite ab, werde das aus dem Bundeshaushalt kompensiert“, so der Bundesfinanzminister anlässlich einer Diskussionsveranstaltung am 13.01.2023 in Berlin.
Es läßt sich wohl nicht ausschließen, dass Lindner Recht behält, und das Vorhaben tatsächlich „… zur größten Reform bei der Rente seit Bismarck“ wird. Es dürfte sich jedoch eher um die machtpolitische Abkehr vom bewährten umlagefinanzierten Generationenvertrag hin zu einer kapitalgedeckten Rente handeln.
Solide Renten durch Abfallwirtschaft?
Gemanagt werden soll das geliehene Anlagekapital von der „KENFO“. Sie haben von dieser Wortschöpfung noch nie gehört? Dieser „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ mit Sitz in Berlin ist eine öffentlich-rechtliche Stiftung, die sich bereits heute als Finanzinvestor auf den Kapitalmärkten engagiert.
Nach deren Selbstverständnis kommt ihr eine „einzigartige, gesellschaftlich bedeutende und verantwortungsvolle Aufgabe“ zu. Zielsetzung des Fonds ist die „Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ – deren Zweck ist „… die Endlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland langfristig sicherzustellen.“ Das Stiftungskapital der KENFO soll die zur Entsorgung radioaktiver Abfälle erforderliche Rendite zu erwirtschaften. Mit dieser Erwartung wird das Stiftungsvermögen auf den internationalen Kapitalmärkten in Aktien-, Unternehmens- und Staatsanleihen investiert.
Eilfertig wurde die Meldung über die geplante Aktienrente von anderen öffentlichen Medien sekundiert. Das Nachrichtenportal „t-online“, für das nach eigenem Bekunden mehr als 150 Journalisten und Journalistinnen über das Geschehen in Deutschland und der Welt berichten, erkannte in der „Renten-Revolution“ ebenfalls den Beginn einer großen Reform“.
Prinzip Hoffnung mit Segenswünschen der Wissenschaft
Da ist selbst der wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister der Finanzen zurück- haltender. Denn dieser ermutigt die Politik lediglich dazu, „die Reform der Altersvorsorge als Chance für langfristige Weichenstellungen in Deutschland wahrzunehmen“.
Das Stellwerk für die angestrebte Spekulation auf Rendite, durch Investition von Arbeitnehmergeld auf den Kapitalmärkten, bildet der 2021 zwischen SPD, Bündnis90/ Die Grünen und FDP geschlossene Koalitionsvertrag.
Der wissenschaftliche Beirat, ein nach öffentlicher Selbstdarstellung unabhängiges und ehrenamtliches Gremium, besteht grundsätzlich aus Hochschullehrern der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Dessen Mitglieder sollen über besondere Fachkenntnisse auf den Gebieten der Finanztheorie und Finanzpolitik verfügen. Ausgewiesene Expertise im Rentenrecht sowie des Sozialversicherungsrechts mit Bezug zur gesetzlichen Rente ist jedoch nicht gefordert. Ebenso wenig werden wirtschaftshistorische Kenntnisse verlangt.
Die gesetzliche Rentenversicherung hat in den etwa 130 Jahren ihres Bestehens wiederholt erhebliche Vermögensverluste erlitten. Infolge politischer Umbrüche, Inflation und zweier Weltkriege ging mehrfach nahezu das gesamte in Wertpapiere investierte Kapital verloren.
Angesichts dieser Tatsachen dürfte es eher wenig hilfreich sein, dass das Bundesministerium der Finanzen seinen Beirat mit den für die Beratungen „erforderlichen Informationen“ versieht . Sollte man doch annehmen, dass ein wissenschaftlicher Beirat selber in der Lage ist zu erkennen, welche Auskünfte zur unabhängigen Ausübung der Tätigkeit unerlässlich sind. Der von politischen Interessen geleitete Koalitionsvertrag informiert jedenfalls nicht darüber, warum die Altparteien über Jahrzehnte hinweg nicht in der Lage waren, für den Lebensstandard sichernde, auskömmliche Renten zu sorgen.
Finanzjongleure sollen Rentenkasse sanieren
Sicherlich, die vom Beirat begutachtete Aktienrente ist kein Staatsstreich gegen die heutige überwiegend aus Beiträgen finanzierte Rente. Würde man bereits heute mit den Geldern der zwangsversicherten Beitragszahler Aktien privater Unternehmen kaufen, hätte dies wohl mehr als nur Geschmäckle.
Nicht zuletzt stünde wohl zu befürchten, dass selbst der deutsche Wähler aufmerksam wird und erahnt, dass man ihn hinter die Fichte führen will.
Nach Vorstellung der FDP sollen jedoch in späteren Jahren Arbeitnehmer und andere Beitragszahler etwa 2 Prozent ihres Bruttoeinkommens in die gesetzliche Aktienrente einzahlen. Der Beitragssatz würde entsprechend reduziert werden .
Weitere Beitragszahlungen werden auch dringend erforderlich sein. Weniger jedoch zugunsten der Aktienrente als vielmehr, um die Zinsen des schuldenfinanzierten Kapitalstocks der Stiftung bezahlen zu können. Wieviel nach Abzug von Kreditzinsen, Darlehenstilgung und Verwaltungskosten für „gerechte“ Renten übrig bleibt, ist reine Spekulation. Aber selbst dann, wenn die Behauptungen der Finanzjongleure im ein oder anderen Jahr zutreffen, werden die Mehreinnahmen kaum einen positiven Effekt für die Rentenkasse haben.
Die Ausgaben der Deutschen Rentenversicherung betragen im Jahr 2023 beinahe 150 Milliarden Euro für Renten und ähnliche Leistungen. Weitere 15 Milliarden fallen für Rehabilitation und Krankenversicherung an . Im Jahr 2021 beliefen sich die Rentenausgaben noch auf rund 138 Milliarden Euro sowie 11 Milliarden Euro für die Krankenversicherung der Rentner (das Jahr 2022 wurde aufgrund Corona-Pandemie und unvorhergesehener Beitragsrückgänge nicht betrachtet).
Die Zahlen lassen erkennen, dass eine einmalige Einzahlung von 10 Milliarden in den geplanten Fonds nicht hinreichend gewesen wäre, um die Ausgabensteigerung der Jahre 2021 bis 2023 aufzufangen. Die Crux dabei ist, dass nicht das Fondsvermögen eine Entlastung der Beitragszahler bewirken soll, sondern das Zocken mit deren Kapital an den Aktienmärkten und die Spekulation auf Rendite. Ebenso wenig wird die geplante Aktienrente eine Erhöhung der Renten bewirken können.
Im Jahr 2022 bezogen etwa 18,50 Millionen Menschen eine Altersrente. Die monatlichen Rentenzahlungen beliefen sich im Durchschnitt auf 1.080,75 € netto und sind somit nicht gerade üppig. Wollte man die heutigen Renten auch nur vorübergehend für ein Jahr um 32,00 € (netto) anheben, entspräche das in Entgeltpunkten gerechnet einem Beitragsäquivalent vom rund 6,70 Milliarden Euro (1 EP = 36,02 € brutto/ West). Bereits der Kapitalstock des Stiftungsfonds wäre nach anderthalb Jahren aufgezehrt. An der Börse eine Rendite zu erzielen, die eine entsprechende Rentenhöhung auch nur annähernd ermöglicht, ist aussichtslos.
Prinzip Hoffnung statt verlässlicher Altersabsicherung
Wohlweislich sprechen die Befürworter der Aktienrente in ihrer Mehrzahl auch nicht von Rentenerhöhung, sondern von der Chance auf Stabilisierung des Rentenbeitrages. Chancen, Hoffnungen und Möglichkeiten sollten jedoch kein Fundament der Altersvorsorge bilden. Bei diesen Geschäftspraktiken ist es fast schon egal, wie die Kosten des schuldenfinanzierten Aktienfonds finanziert werden, ob aus Steuermitteln oder Sozialversicherungsbeiträgen. Es ist eine Umverteilung von der linken in die rechte Hosentasche, bei der am Ende der gesetzestreu glaubende Bürger einmal mehr der Dumme sein wird.
Unter den Schlagworten „Aktivierender Sozialstaat und sozialpolitische Steuerung“ wurden in Deutschland seit Riester ein Reihe von Reformen auf den Weg gebracht .
Die geplante Aktienrente, auch Generationenkapital genannt, ist lediglich die neueste Idee.
Man lehnt sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man annimmt, dass die meisten Rentenversicherten sich nicht freiwillig an Aktienspekulationen, Geld- und Rentenwetten beteiligen würden.
Eine Stabilisierung und Reaktivierung der angeschlagenen gesetzlichen Rente ist kaum zu erwarten. Bereits der Handlungsansatz wirft die Frage auf, wie die Rente ausgezahlt werden soll, wenn es an der Aktienbörse mal bergab geht. Es ließe sich zynisch argumentieren, dass eben dies den Rentenbezieher zu Aktivitäten im täglichen Leben anregt. Und sei es, dass er an einer der bereits heute in Deutschland verbreiteten Lebensmitteltafeln ansteht oder sich ein Taschengeld in Form von Pfandflaschen aus dem Altmüllcontainer fischt.